Erfahrungsbericht eines Stadtverordneten
Von Tobias Henrich
Mit Vorfreude und unvoreingenommen habe ich Anfang des Jahres als Nachrücker der FDP das Mandat des Stadtverordneten angenommen. Gleich darauf, Mitte Januar, tagten auch schon erstmals die drei Ausschüsse der Stadtverordnetenversammlung im neuen Jahr, wobei ich mein Wissen und meine Erfahrung als selbständiger Bauunternehmer als Mitglied des Bau- und Umweltausschusses (BUA) eingebracht habe und auch zukünftig einbringen werde. Eine Woche später kamen die Stadtverordneten dann zusammen, um u.a. den umstrittenen Ankauf des Yaskawa-Geländes – unter Ausschluss der Öffentlichkeit – abzustimmen.
Über die Art und Weise der politischen Zusammenarbeit bzw. der Gremienarbeit bin ich verwundert und enttäuscht. Obwohl viele Unklarheiten vorhanden sind sowie Zahlen, Daten und Fakten fehlen, wurde der Ankauf des Grundstücks mit Gebäude mehrheitlich beschlossen. Etwaige Risiken schienen dabei, obwohl es immerhin um mindestens 20 Mio. Euro geht, nur nebensächlich zu sein.
Zunächst war ein Präsentationstermin in der Sache am 12. Januar 2022 angesetzt. Dieser wurde jedoch aufgrund eines Formfehlers kurzfristig abgesagt. Wie ich aus meiner Fraktion höre, häuften sich die Absagen geplanter Sitzungen aufgrund formeller Fehler in den vergangenen Monaten.
Die Präsentation wurde wegen des Lapsus in den BUA verlegt, der eine Woche später, am 19. Januar 2022 tagte. Zu dieser Sitzung wurde auch ein Vertreter des Eigentümers geladen, der allen Anwesenden erklärte, dass das Gebäude bestens erhalten ist. Da dieser Tagesordnungspunkt – wie auch später in der Stadtverordnetenversammlung – unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfand, hätte man denken können, dass der Eigentümer im Anschluss nach seinen blumigen Ausführungen die Sitzung verlässt. Allerdings durfte er die nachfolgende Debatte seltsamerweise mitverfolgen. Ein Rechtsbruch? Zumindest aber ein merkwürdiger Vorgang.
Als alternativloser Glücksgriff, mit nicht verhandelbarem Preis, wurde das Gebäude von Bürgermeister und Erster Stadträtin dargestellt. Eine Besichtigung war indes nicht möglich. Durch Zufall erfuhren die Mitglieder des BUA, dass bereits seit Juli 2021 (!) ein Wertgutachten vorliegt. Zugeleitet wurde es uns im Vorfeld der BUA-Sitzung jedoch nicht. Wenigstens erhielten wir das Wertgutachten tags darauf, rund 4 Stunden vor der Sitzung des Haupt- und Finanzausschuss (HFA). Zeit zum Lesen blieb da logischerweise keine, zumindest nicht für berufstätige Mandatsträger.
Immerhin wurden aus dem Gutachten die möglichen Schwachstellen für die geplante Zwischennutzung des Gebäudes offensichtlich. Die Opposition aus FDP, SPD und Linken griff u.a. diese Schwachstellen auf und formulierte einen fundierten Änderungsantrag. Dieser hatte zum Ziel, die Beschlussfassung zurückzustellen, bis alle offenen Fragen und Unklarheiten geklärt wären. Dies lehnte die Koalition bedauerlicherweise ab. Abstimmung auf Biegen und Brechen.
Brandschutz, Schadstoffe und Altlasten, mögliche Brandlasten in der angrenzenden Halle aus der Dämmung des ehemaligen Kühllagers der Fa. Kraft, der Zustand des Dachs oder der Heizung – um nur einige ungeklärte Sachverhalte zu nennen. Klarheit gab das Gutachten allerdings zum Erhaltungszustand, der abweichend zu den vorgetragenen Berichten mit „befriedigend“ und teilweise „mangelhaft“ bezeichnet wurde. Auch wurde nun klar, dass der Gutachter die zu erwartenden Renovierungs- und Sanierungskosten für eine Büronutzung mindestens doppelt so hoch einschätzt, als von der Stadtverwaltung selbst veranschlagt. Wobei noch nicht berücksichtigt war, dass die Halle zu einer Versammlungsstätte ausgebaut werden soll und die Brandschutzauflagen für ein öffentliches Gebäude weit höher einzuordnen sind.
Zwei Stunden (!) vor der Stadtverordnetenversammlung wurden zu einzelnen aufgeworfenen Fragen der Opposition durch den Bürgermeister Antworten geliefert. Kaum eine Antwort hatte nachvollziehbare Ansätze. Durch die kurze Zeit zwischen Übermitteilung und Sitzung habe ich bspw. erst nach der Abstimmung erfahren, dass auf dem Grundstück früher eine Firmentankstelle inklusive Erdtanks war und Überbleibsel davon noch immer dort sind.
Das inhaltsarme Protokoll des BUA wurde leider auch erst nach der Stadtverordnetenversammlung verschickt. Es hat wohl auch keinem Stadtverordneten gefehlt, um über ein solches Mega-Projekt abstimmen zu können. Diese Salami-Taktik bei der Herausgabe von grundlegenden Informationen und den Umgang mit gewählten Vertretern unserer Bürgerschaft finde ich persönlich beschämend. Niemals hätte ich auf Basis der vorhandenen Fakten diesem Ansinnen zustimmen können.
Um allen Zweiflern den Wind aus den Segeln zu nehmen, wird nun mit einer Wohnbebauung des Grundstücks im Anschluss gewunken. Wunderbar! Endlich mehr Wohnungsbau! Um jeden Preis? Doch dass die Stadt seit über 9 Jahren vergeblich versucht, die rechtlichen Grundlagen für eine Wohnbebauung auf dem Nachbargrundstück zu schaffen, liest und hört man in keiner der Verlautbarungen der Initiatoren und das ist nur eine der vielen Unklarheiten bei dieser Idee. Hinzu kommen Verkehr, Kanalisation und verschiedene Versorgungsthemen.
Eschborn, 08.02.2022