Transparenz: Zwischen Anspruch und Wirklichkeit
Transparenz ist ein Begriff, der im politischen Betrieb zusehends inflationär verwendet wird. Gegenüber dem Bürger will die Politik damit zum Ausdruck bringen, dass sie mit offenen Karten spielt, nichts zu verheimlichen hat und der Bürger jederzeit vollumfänglich informiert wird. Bedauerlicherweise klafft zwischen Anspruch und Wirklichkeit meist eine große Lücke.
In Eschborn verhält sich dies – nur wenig überraschend – nicht anders. Liest oder hört man die Verlautbarungen des Bürgermeisters in seinen ersten zwei Amtsjahren, insbesondere zum Greensill-Skandal rund um die fahrlässig und fehlerhaft angelegten 35 Mio. Euro Steuergeld, so gewinnt man beinahe den Eindruck, der Bürgermeister selbst sei der Wortschöpfer der Transparenz. Nach seiner wiederholten Darstellung sind er und die Verwaltung aber Opfer eines Betrugs geworden, also quasi einem Art Enkeltrick gegen die öffentliche Hand erlegen. Da man nicht gewillt war ausreichend Auskünfte und Informationen einzuholen.
Derselbe so an Transparenz interessierte Bürgermeister hält ferner Informationen für die Bürger zurück. Mittlerweile vier Mitteilungsvorlagen zum Fall Greensill wurden im Rats- und Bürgerinfosystem (RIS) hochgeladen. Geradezu paradox mutet es da an, dass in diesem Bürgerinfosystem, das der Information der Bürger dient, die genannten Vorlagen nicht öffentlich einsehbar sind. Einsicht haben nur Mandatsträger. Entspricht dieses Vorgehen der vielgepriesenen Transparenz?
Den vorläufigen Höhepunkt intransparenten Verhaltens erreichte der Bürgermeister und die ihn tragende Koalition am vergangenen Donnerstag. Der letzte Tagesordnungspunkt der Stadtverordnetenversammlung sollte – so das Ansinnen des Bürgermeisters – unter Ausschluss der Öffentlichkeit diskutiert werden. Thema: Der äußerst umstrittene Ankauf des Yaskawa-Geländes.
Eine Begründung, die gemäß Hessischer Gemeindeordnung (HGO) für den nur höchst ausnahmsweise zulässigen Ausschluss der Öffentlichkeit aus der Stadtverordnetenversammlung zwingend vorgesehen ist, lieferte der Bürgermeister jedoch nicht. Auch der Fraktionsvorsitzende der CDU, der den bereits bestehenden Antrag zum Ausschluss der Öffentlichkeit seltsamerweise wiederholte, konnte oder wollte trotz Aufforderung des Stadtverordnetenvorstehers keine Begründung liefern.
Der Fraktionsvorsitzende der Freien Demokraten, Christoph Ackermann, ergriff daraufhin das Wort und lehnte den Ausschluss der Öffentlichkeit – wie bereits im Haupt- und Finanzausschuss geschehen – aus Ermangelung an Gründen ab – SPD und Linke schlossen sich dieser Auffassung an. Im Gegenteil er begründete die Notwendigkeit der Öffentlichkeit, da der Verkäufer die zu beschließende Summe kennt und laut Mitteilung des Bürgermeisters sei diese auch sehr wahrscheinlich nicht mehr verhandelbar. Die Koalition aus CDU, Grünen und FWE (FWE: „Bürgerwille verdient Respekt“) ließ sich jedoch nicht beirren und sorgte mehrheitlich für den Ausschluss der Öffentlichkeit. Anwesende Bürger und Vertreter der Presse mussten den Saal verlassen. Sehen so Transparenz und Bürgerwille aus?
Die Opposition aus FDP, SPD und Linken hatte den Kompromissvorschlag unterbreitet, den Beschluss zurückzustellen, bis die Verwaltung alle offenen Fragen und Unklarheiten – der hohen Investitionssumme angemessen – beantwortet hat. Dies wurde durch die Koalition mehrheitlich abgelehnt.
Keine 24 Stunden nach der Stadtverordnetenversammlung gab der Bürgermeister eine Pressemeldung heraus, in der haarklein der Antragsgegenstand des vorigen Abends und das Ergebnis der Abstimmung bewertet wurde. Weshalb wurde also am Vorabend die Öffentlichkeit des Saales verwiesen? Augenscheinlich nur, um die kritische Debatte um den umstrittenen Ankauf der Öffentlichkeit vorzuenthalten. Wirtschaftlich denkende Bürger hätten beunruhigt werden können.
In der Pressemeldung teilt der Bürgermeister dann u.a. mit, dass der Kaufpreis noch durch die GWE verhandelt werden muss. Wie oben erwähnt erhielten tags zuvor, am späten Donnerstagnachmittag ca. zwei Stunden vor der Sitzung, alle Stadtverordneten die schriftliche Auskunft vom Bürgermeister, dass der Preis gar nicht mehr verhandelbar sei. Die Fraktion der FDP fragt sich: Hat Eschborn womöglich zwei Bürgermeister? Und falls ja, welchem von beiden darf man glauben?
Grundstück und Gebäude sollen in Summe inkl. Erwerbsnebenkosten 20 Mio. Euro kosten, der reine Kaufpreis soll 18 Mio. Euro betragen, was sogar schon dem Höchster Kreisblatt bekannt war. Besonders pikant an der Sache ist, dass ein eigens von der Verwaltung beauftragtes Verkehrswertgutachten nur auf rund 12 Mio. Euro kommt. Die Stadt bezahlt also 50 % über dem Verkehrswert. Auch das wird den Bürgern bewusst vorenthalten und versucht, das Projekt durch beispiellose Schönfärberei als zukunftsweisende Entscheidung zu verkaufen.
Zu den genannten Kosten kommen – nach eigener Schätzung der Verwaltung – dann für die Interimsnutzung noch weitere 1,2 Mio. Euro für „Anpassungen“ an den Betrieb der Verwaltung. Ob es bei diesen Kosten bleibt, darf stark bezweifelt werden. Weiterhin muss laut Gutachten mit Kosten für Baumängelbeseitigung in Höhe von über 3 Mio. Euro gerechnet werden.
Nach der Interimsnutzung jedenfalls wird das in das Gebäude investierte Geld durch Abriss wieder vernichtet. Würde der Bürgermeister oder die Koalitionäre diesen Ankauf tätigen, wenn es ihr eigenes Geld wäre? Sicherlich nicht.
Neben den o.g. Kosten werden im Verlauf des Projekts weitere Kosten anfallen: Abriss der Gebäude, Entsorgung von Schadstoffen, Erschließung des Geländes, Neubau von – so der Bürgermeister – Wohnraum für fast 1.000 Menschen. Allein der Bau der Wohnungen wird schätzungsweise an die 100 Mio. Euro kosten – die „Fähigkeiten“ der öffentlichen Hand bei derartigen Großbauprojekten noch gar nicht einkalkuliert. Davon unberücksichtigt ist der nötige Ausbau der Infrastruktur. Kapazitäten in Kitas und Schulen müssen erhöht, Verkehrswege ausgebaut oder die ärztliche Versorgung erweitert werden.
Fakt ist bislang, dass der regionale Flächennutzungsplan derzeit an Ort und Stelle keine Wohnbebauung erlaubt, sondern ausschließlich Gewerbe. Ob und inwieweit der Flächennutzungsplan für das Vorhaben geändert werden kann, ist Spekulation. Die Stadt tätigt in dieser Hinsicht also ein (hoch) spekulatives Geschäft – mit dem Geld der Steuerzahler.
Höhepunkt der städtischen Pressemeldung ist sicher die Behauptung, durch eine Wohnraum-Bebauung erfahre die Hauptstraße eine Entlastung. Konkret teilt der Bürgermeister dazu mit: „Die Hauptstraße mit dem Gewerbegebiet West erfährt hier gegenüber der aktuell möglichen Planung bei einer Wohnbebauung eine gewisse Entlastung, denn der morgendliche und abendliche Berufsverkehr fließt in eine andere Richtung als der Berufsverkehr, der ins Gewerbegebiet hineinfließt.“ Das ist in seiner Absurdität so ähnlich wie die Geschichte von dem Zimmer, in dem einer saß aber zwei rausgingen und sodann einer wieder rein musste, damit das Zimmer leer war.
Weiter behauptet der Bürgermeister: „Bei einer Gewerbeansiedlung wäre die Verkehrsbelastung zu sogenannten Peak-Zeiten bedeutend größer.“ Das ist gleichermaßen Unsinn. Der Bürgermeister scheint zu vergessen oder gar nicht erst zu wissen, dass die Stadt selbst die Art der Nutzung und die Auslastung von Grundstücken in Bebauungsplanverfahren eigenständig festlegt – unter Beachtung des regionalen Flächennutzungsplans.
Nach der Greensill-Pleite legt der Bürgermeister gemeinsam mit der Koalition nun ein weiteres Mal die Axt an das Vermögen der Stadt – in einem Ausmaß, das jeden vernünftigen Bürger aufschrecken muss und das den Haushalt weit über die Legislaturperiode des amtierenden Bürgermeisters hinaus stark belasten wird. Allerdings geschieht dies unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Vermutlich weil das in der Fantasie des Bürgermeisters transparenter ist.
Eschborn, 01.02.2022